Kurssturz bei Delivery Hero: Verstoß gegen Publizitätspflichten?

Der Kurssturz und sein Auslöser

Nachdem die Delivery Hero SE (Delivery Hero) im Februar 2022 die neuesten Quartalszahlen veröffentlichte, kam es zu einem regelrechten Kurssturz: Die Delivery Hero Aktie (ISIN: DE000A2E4K43) stürzte aufgrund der unerwartet schlechten Quartalszahlen zwischenzeitlich um rund 40% ab. Rund 5 Milliarden Euro an Börsenwert wurden damit zwischenzeitlich vernichtet. Dabei konnten sich viele Zahlen sehen lassen: Die Umsätze von Delivery Hero stiegen deutlich. Doch maßgeblich für den Markt war nicht das Umsatzwachstum, sondern eine andere Kennzahl: Das Nettoergebnis wich erheblich von den Erwartungen ab. Der um Sondereffekte bereinigte Verlust vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) stieg um fast ein Drittel auf 781 Millionen Euro. Der Aktienkurs stürzte infolgedessen ab.

Kein Vergleich zu Wirecard

Manche Medien vergleichen den Vorgang bei Delivery Hero vor diesem Hintergrund bereits mit dem Fall Wirecard. Ein solcher Vergleich ist allerdings unangebracht: Die einzige Gemeinsamkeit zu Wirecard besteht darin, dass die Aktienkurse nach dem öffentlichen Bekanntwerden von offensichtlich kursrelevanten Informationen hier wie dort erheblich ausgeschlagen sind, und zwar nach unten. Bei Wirecard wurden allerdings über viele Jahre hinweg und mit hoher krimineller Energie Bilanzen manipuliert. Dies ist bei Delivery Hero nicht der Fall. Das Unternehmen hat lediglich Quartalszahlen veröffentlicht, die von Marktteilnehmern aufgrund einer positiveren Markterwartung negativ aufgenommen wurden. Mit der Veröffentlichung der Quartalszahlen hat Delivery Hero seine Pflichten erfüllt. Oder vielleicht doch nicht? Dieser Frage gehen wir nachfolgend auf den Grund.

Die BaFin prüft den Vorgang „routinemäßig“

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat zu dem Kurssturz bei Delivery Hero eine Stellungnahme abgegeben. Man prüfe, ob Delivery Hero seine Transparenzpflichten erfüllt habe. Dabei handele es sich um eine Prüfung, die bei einem solchen ungewöhnlichen Handelsgeschehen routinemäßig erfolge. Was also prüft die BaFin?

Wesentliche Pflichten des Emittenten: Regelpublizität und Ad-hoc-Publizität

Zunächst ist festzuhalten, welche Pflichten Emittenten konkret haben: Börsennotierte Emittenten wie Delivery Hero sind dazu verpflichtet, den Markt umfassend zu informieren, und zwar in zweierlei Hinsicht, nämlich im Rahmen der Regelpublizität einerseits sowie im Rahmen der Ad-hoc-Publizität andererseits. Diese Pflichten schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich.

Der Emittent muss den Markt daher einerseits regelmäßig über spezifische Informationen und Kennzahlen unterrichten, und zwar in Form von Jahresfinanz- und Halbjahresfinanzberichten. Da diese Informationen regelmäßig, aber damit auch immer nur zu bestimmten Zeitpunkten mitzuteilen sind, müssen Emittenten den Markt daneben über sogenannte Insiderinformationen in Kenntnis setzen, um in bestimmten Fällen eine sofortige Transparenz zu schaffen. Insiderinformationen sind nicht öffentlich bekannte Informationen, die den Emittenten betreffen und ein erhebliches Kursbeeinflussungspotential besitzen. Diese Informationen müssen so bald wie möglich, d.h. unverzüglich, und gänzlich unabhängig von der Pflicht zur Regelpublizität bekannt gemacht werden. Die Beurteilung, ob eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation vorliegt, ist in der Praxis häufig schwierig zu beurteilen.

Welchen Verstoß prüft nun die BaFin?

Die BaFin prüft im Fall Delivery Hero nicht, ob gegen die Pflichten der Regelpublizität verstoßen wurde: Zwar ist Delivery Hero, wie eingangs erläutert, verpflichtet, regelmäßig Halbjahres- und Jahresfinanzberichte zu veröffentlichen. Die von Delivery Hero veröffentlichte Mitteilung, auf welche der Kurssturz folgte, ist allerdings eine Quartalsmitteilung. Zu deren Veröffentlichung war Delivery Hero nach dem WpHG nicht verpflichtet. Eine Verpflichtung zur Veröffentlichung dieser Mitteilung existierte für Delivery Hero zwar durchaus, dies aber lediglich nach Maßgabe der Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse. Verstöße gegen die Börsenordnung wiederum prüft die BaFin nicht.

Aus Sicht der BaFin ist allerdings offenbar ein Verstoß gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht nicht auszuschließen, und dies mit gutem Grund: Die von Delivery Hero herausgegebene Quartalsmitteilung war offensichtlich in einem ganz erheblichen Maße kursrelevant. Dies belegt die Kursreaktion nach der Veröffentlichung der Quartalsmitteilung eindrücklich. Im Falle eines Verstoßes droht Delivery Hero ein Bußgeld. Bei vorsätzlichen oder leichtfertigen Pflichtverletzungen können Bußgelder in Höhe von bis zu zwei Prozent des Gesamtumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahrs verhängt werden.

Haben Aktionäre einen Anspruch auf Schadensersatz?

Eine wesentliche Änderung von Finanzkennzahlen kann eine taugliche Insiderinformation darstellen. Nach dem jetzigen Stand sind wir auch der festen Überzeugung, dass es sich bei dem – in dieser Höhe völlig unerwartet – schlechten Nettoergebnis von Delivery Hero um eine Insiderinformation handelt. Diese hätte insoweit auch unverzüglich als „Ad-hoc-Mitteilung“ veröffentlicht werden müssen. Dies ist nicht geschehen.

Abschließend lässt sich allerdings dennoch nicht beurteilen, ob Aktionären von Delivery Hero tatsächlich Schadensersatzansprüche zustehen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist es einem Emittenten nämlich erlaubt, die Offenlegung von Insiderinformationen aufzuschieben. Ob diese Voraussetzungen hierfür bei Delivery Hero vorlagen, ist offen. Ein rechtliches Vorgehen halten wir daher zum jetzigen Zeitpunkt für sehr riskant und wäre eindeutig verfrüht.

Im Falle eines – unterstellten – Verstoßes gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht wären zudem nicht alle Aktionäre schadensersatzberechtigt, sondern lediglich eine kleine Gruppe: Es wären bei einem unterstellten Verstoß nur solche Aktionäre schadensersatzberechtigt, die innerhalb der sogenannten Desinformationsphase mit Aktien von Delivery Hero gehandelt haben. Gemeint ist damit der Zeitraum zwischen der Entstehung der Veröffentlichungspflicht und dem öffentlichen Bekanntwerden der Insiderinformation.

Beispiel:
Wenn die Pflicht zur Veröffentlichung einer Insiderinformation am 10. Januar 2022 entsteht und diese Information einen Monat später, am 10. Februar 2022, öffentlich bekannt wird, haben grundsätzlich nur solche Aktionäre einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 97 WpHG, die innerhalb dieses Zeitraums Aktien des Emittenten erworben und diese auch bis zum Bekanntwerden gehalten haben.

Gerne halten wir Sie in Sachen Delivery Hero auf dem Laufenden. An dieser Stelle möchten wir Sie auf unseren kostenfreien Newsletter hinweisen, in dem wir Sie ca. einmal monatlich informiert halten.

Über den Autor

Maximilian Weiss

Maximilian Weiss ist Rechtsanwalt und der Geschäftsführer von WEISSWERT. Herr Weiss berät ausschließlich im Bank- und Kapitalmarktrecht sowie im finanzmarktnahen Kartellrecht. Zu seinen Tätigkeitsbereichen gehören insbesondere Aktionärsstreitigkeiten, Ansprüche wegen Falschberatung und bei Anlagebetrug sowie die Rückholung von Vermögenswerten (Asset Tracing und Asset Recovery). Herr Weiss ist erfahren im Umgang mit Masseverfahren und Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes.

Zu seinen Mandanten zählen sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen, insbesondere institutionelle Investoren, Privatanleger und Bankkunden.

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