WIRECARD: Rückenwind für Anleger – OLG München gibt Hinweise zur Haftung von EY
Das OLG München hat sich erstmals zur Haftung von EY und zum Musterverfahren geäußert. Anleger dürfen hoffen!
*** WICHTIGES UPDATE: Wie wir es in dem nachfolgenden Artikel bereits prophezeit haben, hat das Landgericht München I das Musterverfahren zwischenzeitlich tatsächlich eingeleitet. Eine kurze Stellungnahme hierzu finden Sie in unserer WEISSWERT-Pressemitteilung vom 15.03.2022. Auf unserer Schwerpunktseite zum Fall Wirecard finden Sie zudem viele nützliche Informationen zum Wirecard-Skandal und zu den Möglichkeiten für Anleger.***
Nachdem das Landgericht (LG) München I erstinstanzliche Entscheidungen zu Gunsten der Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (EY) getroffen hat, hat das Oberlandesgericht (OLG) München nun einen in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerten Hinweis gegeben (Hinweisschreiben v. 09.12.2021 – 8 U 6063/21). Es handelt sich um eine präzise Segelanweisung für das Landgericht im Sinne der geschädigten Investoren. Dabei handelt es sich nicht um irgendeinen Senat des OLG München, sondern um den auf solche Streitigkeiten spezialisierten Kapitalanlagesenat. Anleger können nun umso mehr auf Schadensersatz hoffen. Auch hat sich das OLG München erfreulicherweise sehr deutlich mit Blick auf das Kapitalanleger-Musterverfahren geäußert, gegen dessen Eröffnung sich EY bislang noch erfolgreich gewehrt hat.
Darüber hinaus gab das OLG München auch weitere ausführliche Hinweise zu diversen rechtlichen Detailfragen. Besonders erfreulich dabei: Auch mit Blick auf diese rechtlichen Details liest sich das Hinweisschreiben des OLG München überaus anlegerfreundlich, so etwa zu dem Gesichtspunkt der Kausalität bzw. zum sogenannten Kursdifferenzschaden.
OLG München positioniert sich deutlich für ein Musterverfahren gegen EY
Das OLG München spricht sich ausdrücklich für ein Kapitalanleger-Musterverfahren nach dem Kapitalanleger.Musterverfahrensgesetz (KapMuG) gegen EY aus. Dies begründet das OLG München – nach Auffassung von WEISSWERT-Anwalt Maximilian Weiss völlig zu Recht – damit, dass es sich bei Bestätigungsvermerken um „öffentliche Kapitalmarktinformationen“ im Sinne des KapMuG handeln kann.
Hier der Wortlaut des OLG München zum Bestätigungsvermerk als „öffentliche Kapitalmarktinformation“
„Der Bestätigungsvermerk dürfte wohl eine öffentliche Kapitalmarktinformation darstellen. Denn er ist ein unternehmensexternes Informationsinstrument […]. Der Bestätigungsvermerk enthält in der wohl gebotenen Zusammenschau mit Lagebericht und Jahresabschluss (s.o.) auch Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten, die für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt sind und einen Emittenten von Wertpapieren betreffen. Jahresabschlüsse und Lageberichte werden in § 1 Abs. 2 Ziff. 5 KapMuG sogar ausdrücklich als Musterbeispiele für öffentliche Kapitalmarktinformationen genannt. Das muss dann wohl erst recht für einen Bestätigungsvermerk gelten, der diese Unterlagen als zutreffend bewertet“.
Ebenso sei EY laut der Auffassung des OLG München eine taugliche Musterbeklagte im Sinne des KapMuG. Diverse weitere Sach- und Rechtsfragen seien zudem musterverfahrensfähig. Kurzum: Einem Musterverfahren steht nach Auffassung des OLG München nichts im Weg. Damit teilt das OLG München nun auch die Auffassung von WEISSWERT-Anwalt Maximilian Weiss, der den – soweit ersichtlich – ersten Musterverfahrensantrag gegen EY gestellt hat (nachzulesen in dem Beitrag „Nach Wirecard-Bilanzskandal – Erweiterung des Musterverfahrens“, in: bankintern Spezial, Sonderbeilage zu Heft 27/2020). Spätestens nach dieser deutlichen Segelanweisung des OLG München gegenüber dem Landgericht dürfte der Beginn des Musterverfahrens nur noch eine Frage der Zeit sein.
Landgericht hätte die Klage nicht abweisen dürfen
Deutlich erteilte das OLG München dem Landgericht auch eine Absage mit Blick auf bislang ergangenen Klageabweisungen. Das Landgericht befasste sich regelmäßig gar nicht erst mit der Frage, ob der bzw. die Bestätigungsvermerke von EY fehlerhaft waren, sondern verneinte lediglich die „konkrete Kausalität“, eines – unterstellt – fehlerhaften Bestätigungsvermerks. Infolgedessen käme es, so das LG, schließlich nicht darauf an, ob der Bestätigungsvermerk nun fehlerhaft sei oder nicht.
Böse Zungen mögen in Anbetracht dessen womöglich behaupten, dass dies ein Trick war, um bloß nicht tiefer in die komplexe Materie des Wirecard-Skandals einsteigen zu müssen und zugleich möglichst schnell die sich anhäufenden Akten loszuwerden. Wie dem auch sei: So einfach ist es in der Tat nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) ist schließlich seit Langem anerkannt, dass ein Kausalzusammenhang zwischen einem Unternehmensbericht und dem Kaufentschluss der Anleger vermutet wird, wenn die Aktien nach Veröffentlichung eines Unternehmensberichts erworben worden sind. Dabei kommt es gerade nicht darauf an, ob der Anleger den Bericht auch tatsächlich gelesen oder gekannt hat: Ausschlaggebend ist, dass der Bericht die Einschätzung eines Wertpapiers in Fachkreisen mitbestimmt und damit eine Anlagestimmung erzeugt.
Nicht zuletzt auf diesen Aspekt ging das OLG München entsprechend dezidiert ein. Es rügte insoweit unter Benennung der höchstrichterlichen Rechtsprechung das Vorgehen des LG und schob der bisherigen Praxis des LG damit einen Riegel vor.
In dem Hinweisschreiben des OLG München steckt gleichwohl – jedenfalls in der Gesamtschau betrachtet – ein durchaus gut gemeinter Fingerzeig für die Landrichterinnen und Landrichter: Diese können die anhängigen und kommenden Verfahren gegen EY schließlich „nach oben“ abgeben, und zwar durch einen Vorlagebeschluss für ein Musterverfahren nach dem KapMuG. Auf diese Weise kann das Landgericht München I im Anschluss an den Vorlagebeschluss die Verfahren künftig auf das Musterverfahren aussetzen – und wird auf diese Weise schließlich ebenfalls die Akten los. Damit wäre sowohl dem LG als auch den Anlegern gedient, die dann mit vereinten Kräften im Musterverfahren gegen EY prozessieren können. Ein Musterverfahren erhöht die Chance für Anleger. Der Spezialsenat des OLG München wird das KapMuG-Verfahren allerdings auch nicht führen (dazu später mehr).
OLG München äußert sich auch zu der Frage der Preiskausalität bei § 826 BGB
Die bislang behandelten Fragen bilden nur einen Ausschnitt der durch und durch erfreulichen Verfügung des OLG München, die sich teilweise geradezu lehrbuchartig liest und sehr sorgfältig begründet wurde. Einen Randaspekt für Kenner des deutschen Kapitalmarktrechts möchten wir abschließend noch hervorheben: Das OLG München positionierte sich in dem Hinweisschreiben ebenfalls dazu, welche Kausalitätsanforderungen im Rahmen einer Haftung nach § 826 BGB bei Verlangen des Kursdifferenzschadens zu gelten haben.
Und zwar müsse in diesem Fall lediglich dargelegt und bewiesen werden, dass sich bei korrekter Information des Kapitalmarkts ein anderer Preis gebildet hätte. Mit anderen Worten: Der Anleger muss nicht beweisen, dass er die streitgegenständlichen Finanzinstrumente nicht erworben hätte, wenn er Kenntnis von den wahren Umständen gehabt hätte. Dieser Nachweis wiederum ist denkbar einfach zu führen.
Was allerdings plausibel klingen mag und unseres Erachtens auch richtig ist, ist keine Selbstverständlichkeit: Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird – insoweit allerdings soweit ersichtlich ohne eine tragfähige Begründung – bisweilen wohl mehrheitlich befürwortet, dass im Rahmen des § 826 BGB die Transaktionskausalität (auch Vertragsabschlusskausalität genannt) darzulegen und ggf. zu beweisen ist. Dies gelte unabhängig davon, ob man nun den Transaktionsschaden oder den Kursdifferenzschaden geltend mache. Diese Auffassung ist schon deswegen äußerst zweifelhaft, weil der Schutzzweck des § 826 BGB gerade nicht lediglich auf den Schutz der Willensfreiheit beschränkt ist. Jedenfalls im Rahmen der Geltendmachung des Kursdifferenzschadens muss daher auch bei § 826 BGB gelten, was bereits für die §§ 97, 98 WpHG gilt: Es genügt die Preiskausalität.
So sieht es nun erfreulicherweise auch das OLG München. Wer also den Kursdifferenzschaden auf Grundlage des § 826 BGB verlangt, muss nach Auffassung des OLG München lediglich die Preiskausalität nachweisen. Die vom Spezialsenat des OLG München dazu angeführte IKB-Entscheidung des BGH (Urteil vom 13.12.2011 – XI ZR 51/10) schwieg sich über diesen Gesichtspunkt allerdings gänzlich aus. Damals waren schließlich Ansprüche nach § 37b Abs. 1 WpHG a.F. Gegenstand der Entscheidung, nicht hingegen solche nach § 826 BGB. Ganz neu ist die Auffassung des OLG München freilich dennoch nicht. So zog etwa Professor Bachmann die aus unserer Sicht richtigen Schlüsse zum Ausreichen der Preiskausalität bei § 826 BGB in seiner Urteilsanmerkung zu der besagten IKB-Entscheidung (Bachmann, Zur Haftung wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformation, JZ 2012, 578, 581). Eine ausführliche Begründung dazu, weshalb der Nachweis der Preiskausalität ausreichend ist, findet sich u.a. in einem Beitrag von Professor Wagner (Wagner, Schadensberechnung im Kapitalmarktrecht, ZGR 2008, 495 ff.).
OLG München ist im KapMuG-Verfahren außen vor
Angesichts der erfreulichen Nachrichten möchte man Anlegern wünschen, dass der Spezialsenat des OLG München möglichst auch im KapMuG-Verfahren zu der Haftung von EY entscheidet. Dem ist aber nicht so. Gemäß § 6 Abs. 6 KapMuG können die Bundesländer eine länderübergreifende Zuständigkeit eines Gerichts für KapMuG-Verfahren einrichten. Der Freistaat Bayern hat hiervon Gebrauch gemacht. Die Gerichtliche Zuständigkeitsverordnung Justiz (GZVJu) vom 11. Juni 2012 (GVBl. S. 295, BayRS 300-3-1-J) besagt, dass für KapMuG-Verfahren das Bayerische Oberste Landesgericht ausschließlich zuständig ist. Das OLG München ist also seinerseits zum Zuschauen verdammt. Es bleibt zu hoffen, dass die Besetzung des Bayerischen Obersten Landesgerichts für das KapMuG-Verfahren gegen EY über eine ähnliche Expertise wie der mit ausgewiesenen Kennern der Materie besetzte Spezialsenat des OLG München verfügen wird. Dies wäre dem Fortgang des Verfahrens förderlich – und wäre damit auch vorteilhaft für die klagenden Anleger.
Über den Autor
Maximilian Weiss
Maximilian Weiss ist Rechtsanwalt und der Geschäftsführer von WEISSWERT. Herr Weiss berät ausschließlich im Bank- und Kapitalmarktrecht sowie im finanzmarktnahen Kartellrecht. Zu seinen Tätigkeitsbereichen gehören insbesondere Aktionärsstreitigkeiten, Ansprüche wegen Falschberatung und bei Anlagebetrug sowie die Rückholung von Vermögenswerten (Asset Tracing und Asset Recovery). Herr Weiss ist erfahren im Umgang mit Masseverfahren und Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes.
Zu seinen Mandanten zählen sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen, insbesondere institutionelle Investoren, Privatanleger und Bankkunden.
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